Christine Sander: Hufbalance

1. Die Statik balanter und imbalanter Hufe

Im Juni 2010 hatte ich unerwartet die Gelegenheit in der Nähe von Ulm an einem Seminar von Herrn Alfred Krieb zum Thema Hufbalance teilzunehmen. Ich habe seine hochinteressanten Ausführungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im folgenden Text werde ich versuchen Theorie und Rückschlüsse seiner jahrelangen praktischen Erfahrung am Pferd für den Laien knapp und übersichtlich darzustellen. Mein Dank gilt Susanne Decker, die mich nicht nur zu diesem Kurs eingeladen, sondern mich mit Korrekturen, Kommentaren und Bildmaterial unterstützt hat. Er gilt auch Sabine Zwick und ihrem Mann für Unterbringung und fürstliche Bewirtung.

Alfred Krieb hat sich ausgiebig mit der historischen Entwicklung des Hufbeschlags befasst. Seine Methode der Hufbearbeitung beruht auf präzisem Wissen um die einzelnen Bestandteile des Pferdehufes, ihr Zusammenwirken mit dem Pferdebein, sowie auf ausgedehnten Beobachtungen und Überlegungen zum Verhalten belebter Körper in der Schwerkraft. Dabei sind die Beine des Pferdes nicht einzeln, sondern - im Kontext der Fortbewegung - als Teile eines Gesamtorganismus zu betrachten. Die Innenseiten balanter Hufe des geradegerichteten Pferdes fußen demnach entlang einer Linie, die genau unter der Bauchmittellinie des Pferdes verläuft.

CIMG1751Die Hufe fußen entlang einer Linie

Das heisst, in der Fortbewegung verschiebt sich der Schwerpunkt des Pferdes - immer im Takt der jeweiligen Gangart - von einem zum anderen Bein des vorderen und des hinteren Beinpaars (der Vorhand und der Hinterhand) und belastet in der Stützphase in einem Moment des Ausgleichs aller vertikalen Drehmoment den oder die jeweiligen Hufe genau von oben. Dabei ist die Röhre im Prinzip aufrecht und das Gewicht ruht auf dem Strahlbein. Der Winkel zwischen Röhre und Hufbodenfläche beträgt 90 Grad. Durch Scherkräfte kann es zur Mehrbelastung der äusseren Seite kommen. Der dadurch entstehende Hornzuwachs wird beim Pferd im natürlichem Habitat durch den vermehrten Abrieb der höher belasteten Seite automatisch ausgeglichen.

CIMG1744Das Gewicht des Pferdes ruht gleichmäßig auf vier balante Hufe verteilt

Damit ein Huf die ungezählten Stützphasebelastungen eines Pferdlebens gesund überstehen kann, muss der Mechanismus in seinem Inneren im Gleichgewicht sein. Das heisst, das Hufbein muss sich mittig über der Hufsohle befinden und die Hufknorpel unter den Ballen müssen beweglich sein. Nur so können Blutpumpe und hydraulisches Kissen im Huf funktionieren. Und nur so wird das Gewicht des Pferdes in den Hufen korrekt und schonend abgefedert. 

In allen lebenden Organismen und auch im Pferdehuf hat die Normalität einen gewissen Spielraum. So kann sich das gesunde Pferd durchaus auf unebenen und/oder schräg zur Bewegungsrichtung abfallenden Böden bewegen. Die Grenze der dabei im Huf vollzogenen Anpassungen ist jedoch schnell erreicht, wenn durch falsche Bearbeitung sein inneres Gleichgewicht gestört ist. Das passiert immer dann, wenn eine Seite, lateral oder medial, mehr gekürzt wird als die andere und/oder wenn der Huf vorne oder hinten zu flach gestellt wird und so das dorso-palmare Gleichgewicht verloren geht.

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Röntgenbild eines imbalanten Hufs 

Wer würde bewusst solchen Unfug treiben, fragt man sich da natürlich. Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Zum einen ist eine sichere Beurteilung des inneren Hufgleichgewichts wegen laufender Kompen-sationsmechanismen im Huf mit blossem Auge nicht möglich. Zum anderen beruhen die im Gewerbe der Hufschmiede weiterhin tradierten Messmethoden häufig auf statischen, nicht aber auf dynamischen Auffassungen des Hufmechanismus und sind deshalb irreführend. Sie treffen auf einzelne Beine zu, nicht aber auf die Eigenart bewegter Körper in der Schwerkraft. Neben Hufhygiene und der richtigen Einschätzung von Abnormalitäten zum Beispiel in der Hufwandstärke geht es deshalb in einer modernen, der Physiologie entsprechenden Bearbeitung der Hufe als aller erstes um die Entwicklung einer Messmethode, die dem Hufbearbeiter die innere Statik des Hufs zuverlässig offenbart.

Alfred Krieb verlässt sich dabei auf seine Beobachtungen der Röhre, der Gelenke in den unteren Gliedmassen und des Hufs in der Bewegung. Und es stellt sich heraus, dass untere Gliedmassen und Hufmechanismus des Pferdes in Reaktion auf die Schwerkraft tatsächlich auf den genannten 90 Grad Winkel der Stützphase optimiert sind. Röhre und Hufbodenfläche sind also nicht nur im Verlauf der Stützphase im rechten Winkel. Nimmt man ein Pferdebein auf, unterstützt die nun waagerechte Röhre und lässt den Huf frei fallen, so kommt es im gesunden jungen Pferd zu dem selben 90 Grad Winkel zwischen Röhre und Hufboden, der auch die Stützphase charakterisiert.  

Dabei wird klar, dass auch nach dem Zurichten der Hufe ihr, in sich vollkommen planer, rechts und links vom Stahl genau gleichhoher Boden im rechten Winkel zur Röhre fallen muss. Nur so können Verschiebungen des Hufbeins, Verformungen der Hufkapsel und Veränderungen in den Gelenken des unteren Pferdebeins vermieden werden. Im Umkehrschluss gilt: Fällt die Hufbodenfläche nicht wie beschrieben und im rechten Winkel zur Röhre kann man davon ausgehen, dass das Sehnen verkürzt und das Hufbein verschoben ist. Die von der Natur vorgesehene so genannte plantare Parallelität ist verloren gegangen. Sohlenrandebene des Hufbeins und der Hufkapsel, die wie ein Schuh den Hufmechanismus umhüllt, sind nicht mehr parallel. Das Hufbein ruht nicht mehr mittig auf der leicht gewölbten Hufsohle.

Entstandene Schäden spiegeln sich in den vom Körper eingeleiteten Kompensationen wieder. Nehmen wir den folgenden Fall. Wird zum Beispiel ein Hufboden an der Innenseite zu sehr gekürzt entsteht ein erhöhter Druck auf der Aussenseite. Der auf die Schwerkraft justierte Körper reagiert mit einer Verschiebung des Hufbeins nach innen, welches nun von innen auf die Wand der Hufinnenseite drückt. 

In den unbeschlagenen Hufen der Wildpferde stehen die Chancen gut, dass der Rand der mehrbelasteten Hufaussenseite bald platzt, ausbricht und es dadurch zu einer automatischen Korrektur kommt, die die Hufbalance wieder herstellt.  Diese Möglichkeit entfällt jedoch bei beschlagenen Pferde. Sie besteht nicht mehr bei solchen, die - bevor sie auf barfuß umgestellt wurden - lange Zeit auf imbalanten Hufen gelaufen sind. Bei diesen hat der Körper für die Mehrbelastung (in unserem Fallbesispiel die äusseren Seite) mit zusätzlichem Hufwachstum kompensiert. Die innere Seite hingegen gerät durch das an die Lamellen der Innenwand drückende Hufbein immer mehr unter Druck. Häufig kommt es dadurch zu einem pathologisch verminderten Hufwachstum der betroffenen inneren Seite. Bei weissem Horn werden die im Hufinneren entstandenen Blutungen aussen sichtbar.

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In diesem atrophierten Hufbein, nun ohne die hinteren Hufbeinäste, hat sich die Stützfläche der darüber stehenden Gliedmassen auf die Hufsohle auf weniger als 50% verringert. 

Das Hufbein drückt bei falscher Kürzung der Hufbodenfläche aber nicht nur seitlich. Es schiebt sich bei zu flachen Hufen nach hinten und belastet die Hufbeinäste. Nicht selten verformen diese sich durch den entstehenden Dauerdruck und beginnen zu atrophieren. Bei zu steilen Hufen rutsch das Hufbein nach vorne und drückt auf die Zehe. Verschiebungen des Hufbein sind also je nach Fehlbearbeitung des Hufbodens in jede Himmelsrichtung möglich. Immer gehen sie auf Kosten der Beweglichkeit und des Gesamtbefinden und lassen sich auch am Ausdruck des Pferdes ablesen.

CIMG1736Die balanten Hinterhufe eines Pferdes im Gleichgewicht von der Seite

Für alle Abweichungen der Hufsohle vom rechten Winkel zur Röhre liefert jedoch die selbe Messung alle Informationen für eine erfolgreiche Korrektur. Hufsohlen und Hufrand (immer unter Berücksichtigung der für eine Korrektur zur Verfügung stehenden Hornstärke) werden (wenn wegen fehlenden Horns nicht anders möglich nur nach und nach) so bearbeitet, dass eine plane Hufbodenfläche entsteht, die sich im rechten Winkel zur Röhre befindet. Das gilt auch für Pferde mit verstellten Gliedmaßen. Bei regelmäßiger Kontrolle der plantaren Parallelität des Hufes und ihrer Korrektur über einen längeren Zeitraum schiebt sich das Hufbein nach und in seine normale mittige Stellung zurück. Hufkapsel und Ballen normalisiert sich. Viele erworbene Beinschiefstellungen verschwinden.

CIMG1765Die plane Bodenfläche eines balanten Hufs 

Hufe nicht in Balance 001
Und, - wie es nicht sein soll/darf 

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Als nächstes kommt eine Darstellung des Hufmechanismus. Schon jetzt lässt sich sagen, dass diese weitverbreitete - in diesem Fall leider unvollständige - Ansicht des Hufinneren zwar schematisch richtig, in Sachen Hufbalance jedoch völlig irreführende ist. Sie stellt das halbierte Hufbein im Querschnitt dar. Die Äste der Halbmond artigen Auflage des Hufbeins auf der Hufsohle wird dadurch nicht sichtbar. Die Darstellung gibt keinerlei Auskunft über die plantare Parallelität, die dadurch häufig übersehen wird und im Wissensschatz der Fachwelt folglich nicht fest verankert ist.

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2. Die Anatomie balanter und imbalanter Hufe

Vor und während der Arbeit an diesem Text habe ich die Angaben von Herrn Alfred Krieb mit Darstellungen anderer Hufbearbeiter und den vielen Theorien, die es zu Anatomie und Funktion des Pferdehufs gibt verglichen. Ich habe herausgefunden, dass seine Arbeit dem neuesten Stand der Forschung entspricht. Im folgenden Text versuche ich allen relevanten Informationen gerecht zu werden und den Huf in seiner Gesamtfunktion als tragendes Element des Pferdebeins, welches sich vielfältigsten Bedingungen nahtlos anpassen muss und kann gerecht zu werden. 

Die Hornkapsel besteht aus zwei Arten von Horn. Diese umgeben den Hufmechanismus wie ein Schuh, der aus Boden, Wand und dem sogenannten Strahl besteht. Sohle und Wand sind aus aufrechten, druckresistenten Hornröhrchen, die der leicht flexiblen Kapsel ihre Festigkeit verleihen. Klar ist, je aufrechter sie stehen, umso mehr Druck fangen sie auf. Der speziell, als eine Art Doppelkeil geformte Strahl hingegen besteht durch und durch aus elastischem Horn. 

Die Form der Hufkapsel ist zylindrisch mit konischer Tendenz. Das heisst, im Idealfall sind die Seiten der Hufkapsel nicht geneigt, sondern stehen aufrecht. Ballen, Blutpumpe und hydraulisches Kissen können so ihre Wirkung maximal entfalten. Die Form des Hufes hängt jedoch nicht zuletzt von der Bodenbeschaffenheit ab. 

Je trockener und härter die Böden, umso aufrechter ist der Huf. Rand und Boden sind auf gleicher Höhe. Häufig wächst die Sohle bis sie den ganzen Huf füllt und so ein ständiger Bodenkontakt gewährleistet ist. Auf feuchten, tiefen Böden hingegegen neigt sich die Hufwand und wird konisch. Der Hufboden wird grösser und vermindert so das Einsinken der Hufe. Die Hufwand ragt häufig über die Hufsohle hinaus. Der Tragrand wird nicht abgerieben und bricht weg. Ein Kontakt der Hufsohle zum Boden kommt durch das Einsinken der Hufe zustande.

Links der bearbeitete Tragrand des normalen mitteleuropäischen Hufes. Rechts eine Vorbereitung für die "Mustangrolle", die typisch ist für den amerikanischen Mustang, der sich auf karg-trochenen Böden bewegt. Beides gezeigt an einem imbalanten Huf, dessen Sohle links vom Strahl deutlich breiter ist als rechts vom Strahl

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Und so sieht es von vorne aus. Die Imbalance des Hufes ist fast nicht sichtbar. 

Die drei Bestandteile der Hufkapsel sind fest und doch flexibel miteinander verbunden. Eine möglichst dicke, auch aus aufrechten Hornröhrchen bestehende Sohle und der keilförmig in den Hufboden hineinreichende Strahl schützen den Pferdehuf von unten. Verbunden sind Boden und Strahl durch die Hufwand, die sich auf der hinten niederen Seite des Hufs in den sogenannten Eckstreben wendet und wie ein  ganz flaches, tiefergelegenes Mäuerchen zwischen Hufboden und dem dreieckigen Strahl verläuft.

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Hufboden, Strahl, die sich in den Eckstreben wendende und am Strahl entlang fortsetztende Hufwand, Lamellen und der Übergang zum Kronrand sind in dieser verzogenen Hufkapsel alle gut zu sehen. 

Die Hufwand ist mit Lamellen ausgekleidet, die aufrecht und parallel zu den Hornröhrchen verlaufen. Sie verbinden das empfindungslose Horn der Kapsel mit dem empfindsamen Hufinneren. Die Lamellen setzten sich unten zwischen Hufwand und Sohle fort und sind am Hufboden als sogenannte weisse Linie dem Auge des Hufbearbeiters zugänglich. Lamellen und Hufwand wachsen von einem Band am oberen Rand der Kapsel, dem Kronrand herab. Am ganzen Kronrand - und nicht wie häufig vermutet nur am Strahl - besitzt die Hufkapsel ihre grösste Dehnungsfähigkeit.

Im Inneren des Hufs verläuft über der gewölbten Sohle die sogenannte Huflederhaut, die das Wachstum der Sohle regelt. Auf dieser Huflederhaut ruht der sichelförmige Boden des Hufbeins. Sein Rand ist plan und verläuft im balanten Huf parallel zum planen Rand der Hufkapsel. Die Halbmond förmige Standfläche des Hufbeins ragt in die Hufkapsel hinein. Hufbeinäste und die sich nach hinten verjüngende Standfläche des Hufbeinbodens reichen im Normalfall genau bis zur lateral/medial weitesten Stelle des Hufes. 

Bone-in-capsuleNicht zu sehen sind auch hier die Hufbeinäste und der Betrachter bekommt keinen Eindruck von der plantaren Parallelität des Hufes. Gut zu sehen ist hingegen die Kontinuität des Hufbeins mit der tiefen Beugesehne und dem Hufknorpel (digitales Kissen), das in Verbindung mit dem Rückstau venösen Blutes in der Hufkapsel als hydraulisches Polster funktioniert.

Medial und lateral ist das Hufbein durch Gelenkbänder mit dem sich darüber befindlichen Kron- und dem Fesselbein verbunden. Alle Gelenke sind von Kapseln umschlossen. Diese und eine Vielzahl von Bändern verschiedenster Richtungen sichern die Bewegungen des Hufs. Von der Funktion des Kronbeins und des Hufbein-Kronbein-Gelenks wird im Zusammenhang mit Blutpumpe und hydraulischem Kissen noch die Rede sein. Entlang dem hinteren oberen Rand des Hufbeins befindet sich genau unter dem Hufbein-Kronbein-Gelenk - quer zwischen den Hufbeinästen - das Strahlbein. Getrennt durch einen kräftigen Schleimbeutel verläuft um das Strahlbein herum die fast fünf Zentimeter breite tiefe Beugesehne. Sie ist mit dem verbleibenden Hohlraum in der Unterseite des Hufbeins fest verwachsen. 

Man ahnt, wie wichtig die plantare Parallelität für das Pferd ist. Von ihr hängen nicht nur Gesundheit der empfindlichen Lamellen der Hufinnenwand, Fortbestand der Knorpel des Hufbein-Kronbein-Gelenks und aller Gelenk in den Beinen des Pferdes ab. Sie ist auch die Basis für das stressfreie Gleiten der tiefen Beugesehne, welches zum Beispiel in der sogenannten Hufrollenerkrankung ausser Kraft gesetzt ist. Nur ein Pferd dessen Hufe im Gleichgewicht sind, und das ist alleine bei perfekter plantarer Parallelität gegeben, kann sich frisch, frei und fröhlich, ohne drohende Schmerzen und ständige Behinderungen bewegen. 

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Gerade Beine, balante Hufe,  frohes Pferd 

Und nun zum Abschluss die Hydraulik im Pferdehuf. Alle Lederhäute, die das Hufinnere umkleiden und auch die Lederhaut des Kronsaums sind von dicht verästelten Blutgefässen durchzogen. Diese Lederhäute verschliessen das Hufinnere und bieten so die Grundlage für die Huf eigene Hydraulik, die - zusammen mit dem Hufknorpel (aus dem Englischen übersetzt auch digitales Kissen genannt) - das Aufsetzen des Hufs auf dem Boden abfedert. Dabei senkt sich die Fessel und das Kronbein schliesst eine Venenklappe, die sich in der Aussenseite aller vier Pferdehufe im Kronsaum über dem Ende der Hufbeinäste (also an der medial/lateral weitesten Ausdehnung des Hufes) befindet. Durch den Rückstau venösen Blutes entsteht so im Huf ein hydraulisches Kissen, welches zusammen mit dem Hufknorpel die Federung der unteren Gliedmaßen in jeder Stützphase eines jeden einzelnen Beins optimiert. 

Das Herstellen des hydraulischen Kissens wird durch Fehlstehungen und den damit verbundenen Veränderungen in der inneren Statik, den Hufwände und den Ballen des Hufes mehr oder weniger kompromittiert. Und es wird klar: Aufrichtung und Bewegungsfreude, Willigkeit und Schönheit eines Pferdes beginnen mit aufrechten Beinen, die sicher auf balanten Hufen fussen.

3. Die Bearbeitung balanter und imbalanter Hufe

Hufbearbeitung und Hufschutz sind zwei Themen, die häufig als eines wahrgenommen werden. Hufbearbeitung, Geraderichtung und Bewegung sind die wichtigsten Faktoren der Hufbalance. Sie stellt sich im beschlagenen wie im unbeschlagenen Huf nicht von alleine ein, sondern ist das Ergebnis von adäquatem Wissen, Können und Aufmerksamkeit. 

Balante Hufe sind im nicht domizierten Pferd das Ergebniss regelmässigen Abriebs naturbelassener Hufe. Im Idealfall halten Wachstum und Abrieb sich die Waage. Die Stellung des Hufs korrigiert sich von selbst. Die Tatsache, dass Pferdehufe in tiefen Böden immer weicher, weiter und letztendlich immer weniger widerstandsfähig werden deutet darauf hin, dass Pferde ursprünglich aus trockenen Klimazonen stammen. Für den mitteleuropäischen Pferdehalter heute stellt sich die Frage, wie er mit dem fehlendem oder zuviel Abrieb des Hufhorns umgeht und ausgedehnte Aufenthalte auf zu weichen Boden verhindert. 

Sinnvoll ist es, sich in diesem Zusammenhang mit den neuen Überlegungen zu einer dem Wuchs der Hufe und der Orientierung des Lauftiers Pferd entsprechenden Weideführung zu beschäftigen und für Barhufpferde längere Laufwege auf entsprechenden Böden in die Tat umzusetzen. Ideal sind 30 km täglich auf wechselnden Böden, was einem immer mal wieder flotten Ritt von zwei Stunden am Tag plus ausgedehntem Weidegang entspricht. Dabei erhöht sich auf Sand- und/oder Kieseloberflächen der Kontakt der Hufsohle zum Boden. Durch geeignete Böden und genügend Bewegung wird der Abrieb gesteigert, während zugleich der Bedarf für manuelle Hufkürzungen automatisch sinkt.

In den 1980iger Jahren haben - rund 30 Jahre nachdem das Pferd als landwirtschaftlicher Faktor in Europa seine Bedeutung verloren hat - in U.S.A. Beobachtungen am natürlichen Huf eingesetzt, die die Grundlage einer inzwischen in allen mit dem Pferd beschäftigten Fachkreisen voll akzeptiert ist. Pferde, auch Hochleistungspferde, laufen barfuß besser als auf Eisen. Weiterhin werden trotzdem der grösste Teil aller Pferde beschlagen. Darauf wird noch einmal zurück zu kommen sein.

Zunächst jedoch folgende historische Betrachtung. Eisen kamen ursprünglich in Gebrauch, um zu starken Abrieb zu verhindern. Sie wurden im Prinzip auf unbearbeitete balante Hufe immer dann aufgenagelt, wenn - wie vor einem Feldzug oder einer Schlacht - zusätzlicher Abrieb zu erwarten war. Nach Herrn Krieb wurden solche flachen Eisen - häufig zu erheblichen Kosten - einmal für ein Pferd gefertigt und immer wieder, jedoch nie für längere Zeit aufgenagelt. Bearbeitungen des Hufhorns mit Zange, Messer und Raspel erübrigten sich. Auch heute noch kommen solche Eisen in Teilen der Welt zur Verwendung.

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Dieses Eisen ist flach und seine Sohle gewölbt. Es bieten den Federungen in Sohle, Wänden und dem Strahl beim Aufsetzen des Hufes Raum 

Bei der Herrichtung des Hufes für ein solches individuell angefertigtes Eisen sollte die Erkenntnis berücksichtigt werden, dass sich - im Augenblick der Belastung und einer damit einhergehender Konsolidierung aller vertikalen Drehmomente -  der im Huf unten befindliche Hufknorpel innen/unten an die Hufwand drückt und sich dabei nicht nur der Strahl hinten, sondern vorallem der Kronsaum oben öffnet. 

Der Huf läuft aufgrund der intern entstehenden Bewegung vermehrt den äusseren Rand der Hufwand ab und es erklärt sich, warum auf dem Hufeisen Rillen entstehen, die eine Richtung nach innen aufweisen. Es ergibt sich, dass die Kante des Hufes, anders als beim heute üblichen Aufbrennen, bei der Zubereitung zum Beschlag abgerundet werden muss, um schmerzhafte Stauchungen der Hufwand - gefolgt von ihrem Ausbrechen - vorallem im Trachtenbereich zu verhindern. 

Das gilt für beschlagene Hufe, es gilt auch für den Barhuf. So wichtig der Hufschutz - wenn er denn fällig wird - ist, es geht in Sachen Huf in aller erster Linie um die korrekte Bearbeitung des Horns. Und um die alles entscheidende Überlegung, wie denn nun der, sich aufgrund des Hufwachstums am beschlagenen und am Barhuf gleichermaßen stellenden Notwendigkeit, in den lebenden Organismus des Hufes einzugreifen, Rechenschaft getragen werden kann. Die zentrale Frage ist: Wie den Huf kürzen, ohne dass dabei die Hufbalance verloren geht und die Beine, ja das ganze Wohlbefinden des Pferdes Schaden erleiden. Und, - in der Praxis geht es leider oft genug auch darum, verloren gegangene Hufbalance wieder herzustellen. 

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Eine Imbalance des Hufes ist mit blossem Auge gar nicht und selbst mit richtig angewandten Messungen nicht immer sicher festzustellen. Ein Röntgenbild gibt Auskunft, aber auch das muss richtig interpretiert werden. Verhalten und Gesichtsausdruck der Pferde geben weitere Auskunft.

Hufschmied, zwischen Kunst und Handwerk, ist ein uraltes Gewerbe. Heute kommen das Wissen um Anatomie und Kinetik des Pferdes hinzu. Und Erfahrung damit physio-therapeutische Maßnahmen einzuleiten, die nicht nur entstehenden Schwierigkeiten zuvorkommen, sondern sie auch heilen können. Nicht alle Schmiede werden diesem Anspruch an eine Qualifikation in zwei ganz unterschiedlichen Fachbereichen gerecht.

Schmiede, die vom Handwerk her kommen fertigen immer komplexer werdende Spezialbeschläge an, die jedoch nicht in allen Fällen dem Ist-Status des betroffenen Pferdes entsprechen oder ihm auf Dauer gut tun. Anderseits fehlt es häufig an umfassenden und eindeutigen Informationen zu Anatomie und Bewegungslehre. Durch Beschläge entstandene erworbene Fehlstellung werden, aus falsch verstandener Sorge um Eigenarten des individuellen Bewegungsapparats beibehalten und verschlimmern sich so von Beschlag zu Beschlag. Dasselbe gilt für zu flache und zu steile Hufe. Und so entwickeln sich schlimme Fehlstellungen, Zwanghufe ohne nennenswerten Strahl und weit auseinander gezogene Tellerhufe, die praktisch kein Hufwachstum mehr aufweisen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ähnliches passiert jedoch auch beim Barhuf. Eisen abnehmen ist keine Garantie für balante Hufe und/oder gerade Beine. Ganz im Gegenteil. Hat das Pferd die mehr oder weniger grossen Schwierigkeiten auf dem zuvor geschützten Tragrand und der weissen Linie zu laufen überwunden, manifestieren sich nach und nach häufig - als Spätfolge jahrelanger imbalanter Beschläge - Imbalancen im Huf, die das Pferd ohne sachgerechte Bearbeitungen selbst nicht korrigieren kann. Hufe werden zu flach und/oder laufen sich medial/lateral ungleich ab. Häufig kommt es zu kombinierten Fehlstellungen. Aufgrund der sofort einsetzenden Kompensationen ist es für den Laien oft unmöglich zu erkennen, was denn nun an den ganz offensichtlich nicht balanten Huf falsch ist. Aber auch Hufe, die auf den ersten Blick gut aussehen, können es in sich haben, und sich bei genauer Untersuchung als alles andere als balant herausstellen.

Die Frage ist, was tun? Da wir im study-horsemanship erst vor gut einem halben Jahr begonnen haben, die Hufeisen abzunehmen ist zur Zeit noch keine abschliessende Beurteilung möglich. Schon jetzt ist jedoch klar, einige Pferde profitieren im Zuge der Herstellung einer perfekten Hufbalance immer wieder vom Wickeln der Hufe mit einem neuen Produkt, welches sich nicht nur bei uns zu bewähren scheint. Es bleibt im Normalfall etwa drei Wochen drauf. Es zersetzt sich danach von selbst oder wird mit einer Kneifzange aufgeschnitten und entfernt. Weiterer Abrieb wird verhindert. Schutz, Abhärtung und Belüftung werden zugelassen. 

Klar ist, die Geradestellung der Hufe muss ständig überwacht und fortgeführt werden bis Hufe und die Beine darüber in ihre angestammte Form zurückgefunden haben. Essenziell ist es die Hufe auf mögliche Entzündungen durch Stahlfäule (Bakterien und/oder Pilze) ganz genau abzusuchen und sofort nachhaltig einzugreifen. Und, last not least, wichtig ist das Pferd zu reiten und geradezurichten. Klar ist auch, dass für alle die im study-horsemanship reiten und hier ihre Ausbildung erhalten Hufbearbeitung und -pflege ein Pflichtfach ist. 



4. Kürzung, Pflege und Begleitung balanter und imbalanter Hufe.

In der Praxis des Kürzens balanter und imbalanter Hufe verliert der Reiter/Hufbearbeiter leicht die Übersicht. Es bewährt sich deshalb, die zentrale Regel des rechten Winkels einzuhalten und sich beim Kürzen nur auf sie zu verlassen. Jedes andere Vorgehen erweist sich bei der Beurteilung der lateralen Hufbalance schnell als falsch. Ich sage das als eine, die meint sehen und beurteilen zu können. Für das Erkennen des angestammten Schwerpunkts und eines angemessenen Abrollpunkts im Pferdehuf gibt es weiterer Anhaltspunkte. 

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Die Kapsel des Pferdehufs (hier rechts) entspricht dem Schuh des Menschen. Nicht das Hufeisen 

Die Beine des jungen Pferdes sind im Normalfall aufrecht und gerade. Hufe sind balant. Sie fussen plan. Es gibt kein einseitiges Aufsetzen und kein dadurch bedingtes Nachklappen des Hufes. Letzteres gilt auch für alle ererbten Fehlstellungen. In der Aufzucht werden durch Saison bedingt vermehrtes Wachstum und fehlenden Abrieb Kürzungen nötig. Gelingt es, ein Ungleichgewicht zwischen Wachstum und Abrieb zu regeln, ist es rein theoretisch auch Pferden unserer Breitengeraden möglich, ohne Kürzungen des Hufhorns, also mit naturbelassenen Hufen aufwachsen. 

Natürlicher Abrieb und selbstgesteuerte Korrektur entfallen mit dem ersten Beschlag. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht Pferdebesitzer schon vor dem ersten Beschlag umdenken und sich auf eine Fortsetzung des Barlaufens einlassen sollte. Selbst wenn Beschläge junger Pferd im Normalfall keine erhöhten Anforderungen stellen und jeder adäquat ausgebildete Schmied sie erfüllen kann, solange er gewissenhaft arbeitet. Das ändert sich mit der fortschreitenden Ausbildung junger Pferde. Im Gesamtzusammenhang der Geraderichtung kann es nämlich zu laufenden, manchmal deutlichen und häufig schwer einzuschätzenden Veränderungen am Bewegungsapparat des Pferdes kommen. 

Diese Veränderungen gereichen dem Pferd letztendlich zum Besseren, können dem Schmied (aber auch dem Hufbearbeiter bei weiterhin unbeschlagenen Pferden) zunächst erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Weiss er doch nie, was ein Reiter tun und in welcher Richtung sich die Ausbildung des Pferdes weiterentwickelt. Häufig gibt es im eigentlichen Sinn gar keine Ausbildung. Pferde wechseln die Hand, Ausbildungen werden ab- oder unterbrochen. Ein ganzer Fächer von Erscheinungsbilder entsteht so, die schwer einzuordnen sind. 

Allein beim Anreiten treten durch Mehrbelastung vorher minderbelasteter Beine und Hufe Veränderungen auf, die der Schmied für die bevorstehenden Beschlagsperiode berücksichtigen und für die letzte korrigieren muss. Er tut dies - und auch das ist nur der Idealfall - im Kontext vereinbarter Beschlagsintervalle, die jedoch per se nicht viel über das tatsächliche Wachstum des Hufes in der anvisierten Periode aussagen. Und, - nicht selten setzt der Geldbeutel des Besitzers, nicht das Wohl des Pferdes Parameter für seine Arbeit. 

Die Frage stellt sich, was tun? Gehen wir noch einmal zurück zum Jungpferd, bei dem - durch genügend Bewegung und Abrieb - Hufkürzungen in der Jugend nicht nötig wurden. Es ist im Idealfall trotzdem an das Heben der Beine gewöhnt. Und das wird sich schnell als nötig erweisen. Denn in dem Maß, in dem es geritten und ausgebildet wird, werden sich Imbalances einschleichen, die zum Wohl des Pferdes ständig beobachtet und immer wieder behoben werden sollten. Nach einigen Jahren werden sich Geraderichtung und Hufbalance so weit gefestigt haben, dass monatliche Kontrollen und Korrekturen ausreichen. Und erst dann sollten Hufbearbeitung und (mit regelmässiger Nutzung eventuell notwendig werdem) Hufschutz, einem Hufbearbeiter oder Schmied überlassen werden.

Was ergibt sich daraus? Die Hufbalance des Pferdes darf zu Beginn der Ausbildung (und das trifft auch für ältere Pferde, die um- oder erneut antrainiert werden) nicht sich selbst überlassen werden. Kontrollen und Anpassungen sollten nicht nur regelmässig, sondern ständig stattfinden. Nur so wird sich das Pferd in der Ausbildung frei und fröhlich bewegen. Und wer ist daran an meisten interessiert? Das ist zuallererst der Reiter. Mein Vorschlag, dass in einer neuen modernen Reiter die Hufbalance Aufgabe des Reiters ist, sollte deshalb nicht verwundern. Er ist es, der - neben dem Pferd selbst - am meisten von balanten Hufen und geraden, aufrechten Beinen hat. Er kennt das Pferd und ist regelmäßig mit ihm zusammen. Ein Blick pro Huf und wenn nötig ein paar Striche mit der Raspel vor jedem Ritt scheinen mir angesichts zu erzielender Ergebnisse nicht zuviel verlangt.

Zwei Dinge müssen jedoch stattfinden, um dieses Ideal Wirklichkeit werden zu lassen. Eins. Theorie und Praxis der Hufbearbeitung müssen so vor- und aufbereitet werden, dass Reiter (als angelernte Fachleute) sie verstehen und durchführen können. Zwei. Das Handwerk des Hufschmieds muss sich den veränderten Bedingungen des Pferdes heute anpassen. Dabei ergibt sich folgende interessante Umkehrung.

Im unbeschlagenen Pferden werden Hufwachstum und Hufabrieb im Idealfall durch ausreichende Bewegung auf entsprechenden Böden im Gleichgewicht gehalten. Wie steht es denn nun aber mit Pferden, die in Boxen und auf kleinen Paddocks gehalten werden? Lassen wir einmal die besonderen Bedürfnisse junger Pferde wie oben beschrieben ausser Acht. Klar wird, dass ausgewachsene Pferde im hoffentlich ständigen Beritt, die in Boxen/auf Paddocks gehalten werden und deren Besitzer sich nicht auf das Thema Hufbalance einlassen wollen oder können, weiterhin in den Händen adäquat ausgebildeter Fachleute am besten aufgehoben sind.

Dabei spielt die Frage Eisen oder nicht jedoch die geringste Rolle. Es geht um regelmäßige, nicht zu lange Kürzungsintervalle, fachlich gesichertes Wissen um die Praxis der Hufkürzung und erst dann um Hufschutz. Vieles deutet darauf hin, dass Hufschuhe (die nur gelegentlich angelegt werden) für das gerittene Pferd, und Wickelungen wann immer nötig (für das Weidepferde) dem geschmiedeten Hufeisen auf Dauer überlegen sein werden. Einfach weil sie ein höheres Maß an Kontakt der Hufsohle und des Strahls mit dem Boden zulassen, und damit die Gesundheit des Pferdes unterstützen. Ausnahme wäre das im letzten Kapitel dargestellt, flache maßgeschneiderte Eisen, welches den Kontakt zum Boden zulässt und nur gelegentlich aufgenagelt wird.

Es folgt eine Darstellung besten Vorgehens bei der Hufkürzung, die ich aber erst schreiben kann, wenn weitere Monate der Beobachtung und Praxis im study-horsemanship vergangen sind. Schon jetzt lässt sich jedoch folgende Überlegung teilen. 

Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass der Fußschutz Schuh beim Menschen nicht dem Hufeisen, sondern der hörnernen Hufkapsel entspricht. Die Natur hat es so eingerichtet, dass der hörnerne Schuh des sich selbst überlassenen Pferdes immer plan mit der Standfläche des Hufmechanismus ist. Beim domestizierten Pferd fällt es dem Pferdehalter, und - wie erwähnt - am logischsten dem Reiter zu, bei Hufkürzungen die plantare Parallelität des Hufes zu erhalten.

Der Inhalt der Hufkapsel entspricht also dem Fuß des Menschen, die Hufkapsel selber dem Schuh. Jeder weiss, wie störend nicht genau passende Schuhe sind. Dasselbe gilt für imbalante Hufe. Wenn Pferdefuß und -schuh nicht zusammen passen ist das für das Pferd eine ständige Belästigung, die Lebensmut und Leistungsbereitschaft schwinden lässt. Nichts ist deshalb sinnvoller, als der ständigen Wahrung der Hufbalance in einer neuen modernen Reiterei einen zentralen Platz einzuräumen.