Im Juni 2010 hatte ich unerwartet die Gelegenheit in der Nähe von Ulm an einem Seminar von Herrn Alfred Krieb zum Thema Hufbalance teilzunehmen. Ich habe seine hochinteressanten Ausführungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im folgenden Text werde ich versuchen Theorie und Rückschlüsse seiner jahrelangen praktischen Erfahrung am Pferd für den Laien knapp und übersichtlich darzustellen. Mein Dank gilt Susanne Decker, die mich nicht nur zu diesem Kurs eingeladen, sondern mich mit Korrekturen, Kommentaren und Bildmaterial unterstützt hat. Er gilt auch Sabine Zwick und ihrem Mann für Unterbringung und fürstliche Bewirtung.
Alfred Krieb hat sich ausgiebig mit der historischen Entwicklung des Hufbeschlags befasst. Seine Methode der Hufbearbeitung beruht auf präzisem Wissen um die einzelnen Bestandteile des Pferdehufes, ihr Zusammenwirken mit dem Pferdebein, sowie auf ausgedehnten Beobachtungen und Überlegungen zum Verhalten belebter Körper in der Schwerkraft. Dabei sind die Beine des Pferdes nicht einzeln, sondern - im Kontext der Fortbewegung - als Teile eines Gesamtorganismus zu betrachten. Die Innenseiten balanter Hufe des geradegerichteten Pferdes fußen demnach entlang einer Linie, die genau unter der Bauchmittellinie des Pferdes verläuft.
Die Hufe fußen entlang einer Linie
Das heisst, in der Fortbewegung verschiebt sich der Schwerpunkt des Pferdes - immer im Takt der jeweiligen Gangart - von einem zum anderen Bein des vorderen und des hinteren Beinpaars (der Vorhand und der Hinterhand) und belastet in der Stützphase in einem Moment des Ausgleichs aller vertikalen Drehmoment den oder die jeweiligen Hufe genau von oben. Dabei ist die Röhre im Prinzip aufrecht und das Gewicht ruht auf dem Strahlbein. Der Winkel zwischen Röhre und Hufbodenfläche beträgt 90 Grad. Durch Scherkräfte kann es zur Mehrbelastung der äusseren Seite kommen. Der dadurch entstehende Hornzuwachs wird beim Pferd im natürlichem Habitat durch den vermehrten Abrieb der höher belasteten Seite automatisch ausgeglichen.
Das Gewicht des Pferdes ruht gleichmäßig auf vier balante Hufe verteilt
Damit ein Huf die ungezählten Stützphasebelastungen eines Pferdlebens gesund überstehen kann, muss der Mechanismus in seinem Inneren im Gleichgewicht sein. Das heisst, das Hufbein muss sich mittig über der Hufsohle befinden und die Hufknorpel unter den Ballen müssen beweglich sein. Nur so können Blutpumpe und hydraulisches Kissen im Huf funktionieren. Und nur so wird das Gewicht des Pferdes in den Hufen korrekt und schonend abgefedert.
In allen lebenden Organismen und auch im Pferdehuf hat die Normalität einen gewissen Spielraum. So kann sich das gesunde Pferd durchaus auf unebenen und/oder schräg zur Bewegungsrichtung abfallenden Böden bewegen. Die Grenze der dabei im Huf vollzogenen Anpassungen ist jedoch schnell erreicht, wenn durch falsche Bearbeitung sein inneres Gleichgewicht gestört ist. Das passiert immer dann, wenn eine Seite, lateral oder medial, mehr gekürzt wird als die andere und/oder wenn der Huf vorne oder hinten zu flach gestellt wird und so das dorso-palmare Gleichgewicht verloren geht.
Röntgenbild eines imbalanten Hufs
Wer würde bewusst solchen Unfug treiben, fragt man sich da natürlich. Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Zum einen ist eine sichere Beurteilung des inneren Hufgleichgewichts wegen laufender Kompen-sationsmechanismen im Huf mit blossem Auge nicht möglich. Zum anderen beruhen die im Gewerbe der Hufschmiede weiterhin tradierten Messmethoden häufig auf statischen, nicht aber auf dynamischen Auffassungen des Hufmechanismus und sind deshalb irreführend. Sie treffen auf einzelne Beine zu, nicht aber auf die Eigenart bewegter Körper in der Schwerkraft. Neben Hufhygiene und der richtigen Einschätzung von Abnormalitäten zum Beispiel in der Hufwandstärke geht es deshalb in einer modernen, der Physiologie entsprechenden Bearbeitung der Hufe als aller erstes um die Entwicklung einer Messmethode, die dem Hufbearbeiter die innere Statik des Hufs zuverlässig offenbart.
Alfred Krieb verlässt sich dabei auf seine Beobachtungen der Röhre, der Gelenke in den unteren Gliedmassen und des Hufs in der Bewegung. Und es stellt sich heraus, dass untere Gliedmassen und Hufmechanismus des Pferdes in Reaktion auf die Schwerkraft tatsächlich auf den genannten 90 Grad Winkel der Stützphase optimiert sind. Röhre und Hufbodenfläche sind also nicht nur im Verlauf der Stützphase im rechten Winkel. Nimmt man ein Pferdebein auf, unterstützt die nun waagerechte Röhre und lässt den Huf frei fallen, so kommt es im gesunden jungen Pferd zu dem selben 90 Grad Winkel zwischen Röhre und Hufboden, der auch die Stützphase charakterisiert.
Dabei wird klar, dass auch nach dem Zurichten der Hufe ihr, in sich vollkommen planer, rechts und links vom Stahl genau gleichhoher Boden im rechten Winkel zur Röhre fallen muss. Nur so können Verschiebungen des Hufbeins, Verformungen der Hufkapsel und Veränderungen in den Gelenken des unteren Pferdebeins vermieden werden. Im Umkehrschluss gilt: Fällt die Hufbodenfläche nicht wie beschrieben und im rechten Winkel zur Röhre kann man davon ausgehen, dass das Sehnen verkürzt und das Hufbein verschoben ist. Die von der Natur vorgesehene so genannte plantare Parallelität ist verloren gegangen. Sohlenrandebene des Hufbeins und der Hufkapsel, die wie ein Schuh den Hufmechanismus umhüllt, sind nicht mehr parallel. Das Hufbein ruht nicht mehr mittig auf der leicht gewölbten Hufsohle.
Entstandene Schäden spiegeln sich in den vom Körper eingeleiteten Kompensationen wieder. Nehmen wir den folgenden Fall. Wird zum Beispiel ein Hufboden an der Innenseite zu sehr gekürzt entsteht ein erhöhter Druck auf der Aussenseite. Der auf die Schwerkraft justierte Körper reagiert mit einer Verschiebung des Hufbeins nach innen, welches nun von innen auf die Wand der Hufinnenseite drückt.
In den unbeschlagenen Hufen der Wildpferde stehen die Chancen gut, dass der Rand der mehrbelasteten Hufaussenseite bald platzt, ausbricht und es dadurch zu einer automatischen Korrektur kommt, die die Hufbalance wieder herstellt. Diese Möglichkeit entfällt jedoch bei beschlagenen Pferde. Sie besteht nicht mehr bei solchen, die - bevor sie auf barfuß umgestellt wurden - lange Zeit auf imbalanten Hufen gelaufen sind. Bei diesen hat der Körper für die Mehrbelastung (in unserem Fallbesispiel die äusseren Seite) mit zusätzlichem Hufwachstum kompensiert. Die innere Seite hingegen gerät durch das an die Lamellen der Innenwand drückende Hufbein immer mehr unter Druck. Häufig kommt es dadurch zu einem pathologisch verminderten Hufwachstum der betroffenen inneren Seite. Bei weissem Horn werden die im Hufinneren entstandenen Blutungen aussen sichtbar.
In diesem atrophierten Hufbein, nun ohne die hinteren Hufbeinäste, hat sich die Stützfläche der darüber stehenden Gliedmassen auf die Hufsohle auf weniger als 50% verringert.
Das Hufbein drückt bei falscher Kürzung der Hufbodenfläche aber nicht nur seitlich. Es schiebt sich bei zu flachen Hufen nach hinten und belastet die Hufbeinäste. Nicht selten verformen diese sich durch den entstehenden Dauerdruck und beginnen zu atrophieren. Bei zu steilen Hufen rutsch das Hufbein nach vorne und drückt auf die Zehe. Verschiebungen des Hufbein sind also je nach Fehlbearbeitung des Hufbodens in jede Himmelsrichtung möglich. Immer gehen sie auf Kosten der Beweglichkeit und des Gesamtbefinden und lassen sich auch am Ausdruck des Pferdes ablesen.
Die balanten Hinterhufe eines Pferdes im Gleichgewicht von der Seite
Für alle Abweichungen der Hufsohle vom rechten Winkel zur Röhre liefert jedoch die selbe Messung alle Informationen für eine erfolgreiche Korrektur. Hufsohlen und Hufrand (immer unter Berücksichtigung der für eine Korrektur zur Verfügung stehenden Hornstärke) werden (wenn wegen fehlenden Horns nicht anders möglich nur nach und nach) so bearbeitet, dass eine plane Hufbodenfläche entsteht, die sich im rechten Winkel zur Röhre befindet. Das gilt auch für Pferde mit verstellten Gliedmaßen. Bei regelmäßiger Kontrolle der plantaren Parallelität des Hufes und ihrer Korrektur über einen längeren Zeitraum schiebt sich das Hufbein nach und in seine normale mittige Stellung zurück. Hufkapsel und Ballen normalisiert sich. Viele erworbene Beinschiefstellungen verschwinden.
Die plane Bodenfläche eines balanten Hufs
Und, - wie es nicht sein soll/darf
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Als nächstes kommt eine Darstellung des Hufmechanismus. Schon jetzt lässt sich sagen, dass diese weitverbreitete - in diesem Fall leider unvollständige - Ansicht des Hufinneren zwar schematisch richtig, in Sachen Hufbalance jedoch völlig irreführende ist. Sie stellt das halbierte Hufbein im Querschnitt dar. Die Äste der Halbmond artigen Auflage des Hufbeins auf der Hufsohle wird dadurch nicht sichtbar. Die Darstellung gibt keinerlei Auskunft über die plantare Parallelität, die dadurch häufig übersehen wird und im Wissensschatz der Fachwelt folglich nicht fest verankert ist.